In Mostar – eine Kriegselegie
(Leseprobe)

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Unweit des Swimmingpools der Hotelanlage verbrannten die Touristen ihren Körper auf den Liegestühlen. Einige zogen eifrig ihre Bahnen im Pool, um die Kalorien des ausgiebigen Frühstücksbuffets abzutrainieren. Andere saßen bereits an der Poolbar und kippten die ersten Drinks hinunter, während sie ihren Frauen auf den Liegen zuprosteten. Ein alltäglicher Ferienmorgen eines mittelprächtigen Urlaubslebens.
So durchschnittlich der Urlaubstag begann, der Urlaubsort war es keineswegs. Denn eine heftige Detonation erschütterte die Begrenzungsmauer der Hotelanlage und sorgte für sofortige Beunruhigung unter den Gästen. Ein Stoßtrupp von Soldaten kletterte durch die klaffende Wunde des zerstörten Mauerstücks und zielte auf die oberen Stockwerke des Hotels. Feingraue Staubwölkchen aus den Einschusslöchern rieselten auf die weißmarmorierte Terrasse.
Der Schatten eines Kampfhubschraubers spiegelte sich auf dem Badewasser, als zwei Soldaten mit den Bordwaffen das Hotelgebäude beschossen. Ein Fenster nach dem anderen zersplitterte von links nach rechts, dann im nächsten Stockwerk von rechts nach links.
Unter derartiger militärischer Wertarbeit glich das Hotel bald einer zweckfreien Hausruine.
Deren Gäste waren zwar überrascht, verfolgten die Ereignisse jedoch sehr bald mit einer gewissen Neugier. Trotz einer Gänsehaut, die in ihrem ansonsten tristen Leben sogar willkommen schien, kam unter ihnen weder Beunruhigung noch Panik auf. Einige gingen lieber ihren Ferienbeschäftigungen nach, denn die Erholung vom Geschäftstreiben in der Heimat ließ man sich nicht nehmen.
Sprengsätze durch Handgranaten und Bazookas explodierten zu Dutzenden um sie herum, die es ihnen durch die Druckwellen nicht gerade erleichterten auf den Beinen zu bleiben. Auch strapazierte das Sirren der Metallsplitter gleichwohl Gehör und Nerven. Selbst als Teile des ersten Stocks den Eingangsbereich unter sich begruben, mehr und mehr Soldaten aus der Mauerlücke quollen und sie etwas beiseitetreten mussten, um nicht überrannt zu werden, bleiben sie an Ort und Stelle.
Irgendwo zwischen Hotelrezeption und Lounge musste es militärischen Widerstand geben, denn das Blut einiger Angreifer verunreinigte den Weg entlang des Pools. Dies führte dann doch bei den meisten Touristen zu der Überlegung, dass es Zeit sei, ihn zu verlassen. Einige Gesichter zeigten vage Spuren von Übelkeit. Doch die Soldaten fühlten sich offenbar nicht von ihnen gestört, nahmen sie gar nicht wahr.
Viele starben für sich oder lagen in ihrem Blut oder schrien das Leben aus. Mit Wattebäuschchen versuchten ein paar Touristinnen den Verletzten zu helfen, wenn auch mit magerem Ergebnis. Einigen Sterbenden traten die Augen über, als die Bikinischönheiten zwischen ihnen hin und her hetzten, sich mit ihrer knappen Bekleidung hinunter beugten und die gepressten Wölbungen nahe an die sterbenden Krieger brachten. Wenn auch die medizinische Effizienz den Nullwert kreuzte, was die Frauen wohl einsahen, so verhalfen sie doch vielen jungen Kerlen zu einem schönen Tod, wie sie glaubten, und bezogen aus dieser Überlegung einen Großteil ihrer Motivation.
Als neutraler Faktor der Kriegshandlungen verlor keiner der Touristen sein Leben. Dennoch schauten sie ein wenig betroffen der Demontage ihres Hotels zu, als das dritte Stockwerk unter mehreren Bombentreffern zertrümmerte und auf das zweite krachte. Unterdessen höhlten von innen Flammenwerfer den Gebäudekern vollständig aus, sodass die zweite Etage zusammen mit der ersten auf das Erdgeschoss niedersank, wo alles in einem großen rauchenden Trümmerberg aufging.
Die anwesenden Hotelgäste flüchteten vor den Staub- und Rauchwolken und umliefen die Leichen, was von jedem auch angesichts seines vorhandenen Alkoholpegels ein wenig mehr Aufmerksamkeit und Körperbeherrschung abverlangte. Abseits des Pools standen sie nun in der Sonne und sahen zu, wie die Soldaten mit ihrem Kriegsgerät wieder über die durchbrochene Mauer verschwanden.
Der Spuk war für heute zu Ende. Morgen würde ein neues Hotel abgefackelt, denn der Krieg war noch nicht vorbei.
Stille herrschte für einen Moment, bis einer der biergestählten Bauchträger entdeckte, dass die Kampfparteien seine liebevoll »Bierbude« genannte Poolbar ebenfalls zerstört hatten. Fassungslos starrte er auf den Trümmerhaufen.
»Oh, mein Gott! Sie haben unsere Bar ausradiert. Und was soll ich jetzt trinken?!«